Der Satz „Die Zeit heilt alle Wunden“ trifft auf Traumata leider nicht zu.
Es ist zum Glück bei über 70% von traumatischen Erfahrungen so, dass ein Mensch sich nach ein paar Wochen bis zu einem halben Jahr nach dem Schreckensereignis wieder von selbst reguliert und zu seinem gesunden Gleichgewicht wiederfindet.
Ist diese Regulation nicht von selbst gegeben, dann braucht man mitfühlende und professionelle Unterstützung.
Im Tibetischen werden die Gebetsfahnen mit Lungta bezeichnet, was eigentlich Windpferd bedeutet. Warum das so heißt, wird im Laufe dieses Texts geklärt.
Gebetsfahnen im heutigen Westen: Oft sieht man die hübschen und bunten Gebetsfahnen heutzutage nicht nur auf den Berggipfeln im Himalayagebirge, sondern selbst auf diversen Balkonen oder in Gärten im schönen Wien oder anderen westlichen Städten. Wahrscheinlich ist nicht jeder, der solche Fahnen bei sich Zuhause montiert, ein praktizierender Buddhist. Das macht nichts; allerdings sind ein paar Dinge zu dem Thema gut zu wissen.
Die Girlande der Sichtweisen
Eine Buchrezension von Wolfgang Schulz:
Guru Padmasambhava, der „Lotusgeborene“, auch Guru Rinpoche genannt, brachte den Buddhismus nach Tibet. Mit der „Girlande der Sichtweisen“ hinterlässt er einen einzigartigen Wissensschatz, der die Lehrstruktur der neun Fahrzeuge der Nyingma-Tradition darlegt. Jamgön Mipham aus dem 19. Jhdt. erläutert den aus dem 8. Jhdt. stammenden Quelltext in seinem Kommentar.
Buddha beschreibt diese Sicht bereits im Brahmajala Sutta des Palikanon. Denn die unwissenden und verwirrten Wesen sind ohne Zahl. Die vier nicht buddhistischen Sichtweisen sind: 1.) die Unreflektierten sind die Verwirrtesten von allen und erkennen keinerlei Ursachen oder Ergebnisse. 2.) die Materialisten haben kein Verständnis davon, ob es vorangegangene oder zukünftige Leben gibt. Sie arbeiten nur um Stärke, Ruhm und Macht in diesem Leben zu erlangen. 3.) die Nihilisten glauben nicht, dass Dinge Ursachen und Auswirkungen haben. Für sie ist alles „einfach so“ und erlöscht auch genauso wieder. 4.) die Eternalisten glauben an ein permanentes Selbst, welches sie sich in allen Phänomenen vorstellen. „All dies sind die Ansichten des Nichtwissens.“ (S.23)
Die Körperhaltung ist für die Leichtigkeit des Seins von entscheidender Bedeutung. Wer kennt es nicht, dass Schmerzen und Verspannungen uns wie schwere oder verwundete Teile vorkommen; wie Blei, wie Bisse oder wie ein Ziehen in eine Richtung, in die wir gar nicht wollen. Und man gewöhnt sich daran. Es gibt allerdings auch, wie in verschiedensten Kampfkünsten bekannt, eine natürliche Körperhaltung, aus der Kraft entspringt.
Aber wie kommt es dazu, dass wir aus unserem natürlichen anatomischen Bauplan heraus fallen und unser lebender „Kadaver“ sich so anfühlt, wie er sich nun mal jetzt im Moment anfühlt. Im Großen und Ganzen gibt es drei Gründe, warum wir diese jetzige Haltung eingenommen haben. Es folgen bildhaft und leicht anschauliche Beispiele:
Sucht: Suche und Flucht
In der deutschen Sprache recht passend, kann man sagen, Sucht ist immer eine Suche beziehungsweise eine Flucht. Denn unter der getanen Handlung gibt es tiefere Gründe wie zum Beispiel den Versuch ein Loch, eine Leere zu füllen oder Frust, Trauer oder andere Gefühle zu kompensieren. Auf kurze Zeit betrachtet, gibt die Handlung (oder die Einnahme) einen Schub an Vergnügen oder ein Gefühl der Erleichterung oder auch Kraftgewinn, die Langzeitkonsequenzen sind jedoch ungesund für Körper und Geist.
Angst lässt „gefrieren“.
Es ist die mythologische Figur aus dem antiken Griechenland, die ein sehr gutes Bildnis und Gleichnis zum Thema Trauma gibt. Medusa mit ihrer furchterregenden Erscheinung, mit ihrem Schlangenkörper und ihren Haaren, die Schlangen sind, verwandelt sie jeden Menschen, der sie nur erblickt, augenblicklich zu Stein. Durch den Schrecken der Medusa, ist es wie bei einer traumatischen Erfahrung in unserem Leben, die uns die Lebendigkeit raubt und uns lähmt und uns schwer wie Stein macht (körperlich sowie auch unsere Gefühlswelt).
Durch die hilfreiche „Brille“ des Somatic Experiencing können wir den Menschen in seinen 5 Erfahrungs- bzw. Erlebniskanälen betrachten. Als Therapeut kann dies eine gute Orientierung bieten um zu sehen in welchen Kanälen der Klient sich am ehesten aufhält, befindet und welche er gar nicht benutzt oder ob er in einem Kanal feststeckt. In unserer Erfahrungsdimension als Mensch ist es wohl gut in allen 5 Kanälen gleichermaßen ausgeglichen sein zu können. Traumatisierten (Verletzten, chronisch gestressten) Menschen ist es nicht möglich in allen Kanälen zu sein, meist gibt es einen Mangel in einem Kanal oder mehreren, was ein Hinweis auf eine Dysbalance sein kann. Wo mangelt es? Das mag eine wichtige Information für den Therapeuten sein, doch gilt es eher den Fokus auf die stärkenden und guten gesunden Aspekte zu richten.
Traumatische oder stresshafte Erlebnisse sind Teil unseres Lebens. Diese werden nie ganz vermieden werden können, auch wenn man sich in der Edukation, Vermittlung und Erziehung darum bemühen sollte, zu klären wie Traumatisierungen zustande kommen können und wie man ihnen entgegenwirkt. Das betrifft auch den Umgang mit Emotionen. Aber Traumatisierungen werden uns leider immer als vorkommender Fakt des Daseins erhalten bleiben. Auch wenn sich das dramatisch anhört (und es wahreinlich auf einer perönlichen Ebene auch so ist), heißt das nicht, dass das Leben nur schrecklich und sinnlos ist. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir es schaffen diese Dramatik in unser Leben erfolgreich zu integrieren, dann können wir zu neuer Freiheit und Weisheit gelangen.
Warum es oft so schwer ist…
Stellen Sie sich einen Hasen auf der Flucht vor. Eine ungeheure (Überlebens-)Energie mobilisiert seinen Körper auf Höchstgeschwindigkeit, um Haken zu schlagen, um davon zu rasen weil ihn sonst der Tod erwischt.
Nun stellen Sie sich vor, dass diese enorme Energie nicht in Form dieses Davonrennens entladen und umgesetzt werden kann als natürliche Reaktion, sondern der Körper würde beispielsweise festgehalten. Das Energiepotential bliebe dann im Organsimus stecken und verursacht Stockungen und Dysregulationen in unserem Nervensystem. So verhält es sich auch beim Säugetier-Menschen. Wird unsere natürliche Reaktion des Nervensystems nicht adäquat abgebaut und entladen (oder voll gespürt und gelebt) in der jeweiligen Sitation um einen Erfolg zu landen, dann entstehen so genannte posttraumatische Belastungsstörungen. Das können Atmungs- oder Verdauungsbeschwerden sein, sowie soziales Unvermögen adäquat zu reagieren um im richtigen und deutlichen Maß Ja oder Nein innerhalb gesunder Grenzen zu vermitteln.
Säugetiere und auch Menschen besitzen einen innewohnenden Mechanismus des Nervensystems, der unter hohem Level an Gefahr und Bedrohung mit Starre (Freeze) reagiert. Die bekannten und gängig gelehrten Modi unseres Nervensystems sind 1) Der Sympathikus: Aktivität, Bewegung, Action, Spannung, und dazu gehören auch „fight“ und „flight“; und 2) Der Parasympathikus: Ruhe, Entspannung, Verdauung, Schlaf, Regeneration.
Das „freeze“ als dritte Möglichkeit unseres Nervensystems zu „schalten“ bezeichnet einen biologischen Menchanismus: In lebensbedrohlichen Gefahrensituationen wird extrem viel Energie im Organismus mobilisiert. Es handelt sich um eine immense Lebensenergie, die durch Kampf oder Flucht das eigene Überleben sichern soll. Werden beide Auswege blockiert dann setzt sich diese Energie im Nervensystem fest, es reagiert mit Immobilität, es bleibt etwas hängen, es wird etwas eingefroren. So gibt es einen von Gott (oder der Natur) geschaffenen Mechanismus, der uns aber auch retten kann: das Freeze; eben: „Das Einfrieren“, Erstarren.
Woody Allen sagte einmal: „Wenn ich schon sterben muss, dann möchte ich nicht dabei sein.“ Darum geht es. Das Freeze macht uns den Abgang leichter, man spürt nichts mehr, nicht mal mehr die Emotion Angst. Das Freeze an sich ist nicht das Problem für uns Menschen sondern der Weg aus dem Freeze wieder vollständig herauszukommen ist die Krux.