Somatic Experiencing – Techniken und Methoden

Somatic Experiencing (SE) ist eine körperorientierte „buttom-up“ Methode um traumatische Erlebnisse und Stresssituationen effektiv zu behandeln und über unsere bisherigen engen Muster über unsere Weltsicht und über die Sicht von uns selbst und unsere Empfindungen und Gefühle hinauszuwachsen, ja all dies neu zu erleben und neu zu entdecken. „Buttop up“ bedeutet, dass hierbei nicht unsere Gedanken, Ideen, Vorhaben und Vorstellungen unser Leben verändern oder heilen können (dieser Aspekt wäre „top down“ und wird natürlich nicht ignoriert und spielt auch eine Rolle!), sondern, dass unsere Biologie, unsere Physiologie, unsere Körperlichkeit und unser Nervensystem dazu in der Lage sind unsere Empfindungen und Erfahrungen neu zu strukturieren und neue Lebenskraft zu finden. Der Körper hat seine eigene Intelligenz, seine natürlichen Rhythmen und seine natürlichen Gaben, sich von Verletzungen (=Traumata) zu heilen. Aber wie funktioniert SE, mit welchen Methoden arbeitet diese von dem biologieaffinen US-Amerikaner Peter A. Levine ins Leben gerufene Traumatherapie?

Der Parasympathikus ist Zuständig für Verdauung, Ruhe, Regeneration, Integration.

In einer Sitzung kommen folgende Techniken zum Zug (die Nummerierungen bedeuten nicht, dass man unbedingt in der Reihenfolge arbeiten muss):

1.) Eine Atmosphäre relativer Sicherheit schaffen und geben. Orientierung im Hier und Jetzt: Ein sicherer Raum und eine ungefährdende Beziehung verhelfen dabei sich neu zu formieren und orientieren zu können.

2.) Ressourcen des Klieten ausfindig und ihn darauf aufmerksam machen: Ressourcen sind Quellen innerer Kraft für den Klienten. Darüber zu schreiben allein könnte Bücher füllen, aber prinzipiell sind es Gedanken, Erinnerungen, (Körper-)Haltungen, Tätigkeiten, Orte, Menschen, die einem Halt im Leben geben.

3.) Den Klienten dabei unterstützen eine Empfindung von sich zu erforschen und diese zu akzeptieren. Der felt sense: Der felt sense ist das Hauptwerkzeug in dieser Therapiemethode. Dieser ist nicht mit einfachen Worten ins Deutsche zu übersetzen, aber es geht einfach um die Wahrnehmung, dessen, was in unseren Körpern geschieht. Wie fühlt es sich innen an? Eng? Zittrig? Zugeschnürt? Weit? Wohl? Hierbei wird unter Umständen auch schon mal in ein problematisches Gebiet hineingefühlt. Nicht zu viel. Nur soviel, wie es geht und dem Klienten zuträglich ist. Dazu kommen wir noch im Punkt 5. Aber es geht nicht nur um problematische Empfindungen.  Auf dies zu achten ohne zu bekämpfen, zu regisitrieren um zu regulieren, ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Erforschung des Körpers und um ein besseres Gefühl zu sich selbst und gegenüber seinen Mitmenschen und seiner Umwelt zu entwickeln und zu stabilisieren.

4.) Pendeln: „Pendeln“ heißt, dass der Klient nun dazu ermutigt wird seine Aufmerksamkeit von der einen (positven) Ressource bewusst zur (negativen) Erfahrung/Empfindung zu bewegen. Hin und her. Hin und her. Aber auch hier: Nicht zu viel. Dies bringt Energien in Schwung:

5.) Titrieren: Dieser Begriff ist aus der Chemie geborgt. Es geht um die Erkenntnis, dass zwei bestimmte Stoffe (z.B. Flüssigkeiten) explodieren könnten – füge man sie zu rasch zueinander. Beim Titrieren geht es darum tröpfchenweise, Schritt für Schritt und möglichst behutsam vorzugehen. Das schützt den Klienten vor etwaigen Retraumatisierungen und „Explosionen“ im System, was zu viel aufwühlen und durcheinander und den Klienten in Gefahr bringen könnte, dadurch, dass er plötzlich mit zu viel des traumatischen Inhaltes – Erinnerungen, Gefühle, diverse Überlebens-Reaktionen – konfrontiert ist.

Ein kurzer Einschub: Ein Trauma ist vom Bildnis her auch so etwas: Eine Fee kommt daher und friert lauter Ungeheuer und Ungeziefer alle auf einmal mit ihrem Zauberstab ein um den bedrohten Klienten zu schützen. Die Viecher rühren sich nun nicht mehr. Sie sind aber noch da. Das ist das traumatische Material, das erlöst werden mag. Zu viel davon auf einmal aufzutauen könnte die Person aus der Bahn werfen oder sogar ernsthaft gefährden. Die vielen Ungeheuer und das Ungeziefer wären zu viel zum Bewältigen, wenn die alle wieder aufgetaut sind, umherwuseln und ihr Unwesen treiben. Deswegen knöpft man sich – aus Sicherheitsgründen und weil es einfach leichter und stabiler für den menschlichen Organismus ist – ein Ungeheuer nach dem anderen vor, taut es auf, schaut es sich an und kann es dann allmählich auch wieder gehen lassen. Der menschliche Organismus, der dies erlebt, ordnet sich Schritt für Schritt neu.

6.) Abbwehrreaktionen stärken. Containment erfahren. Grenzen erkennen: Die Abwehrreaktionen, für die es damals, zum Zeitpunkt des Traumas, keine Zeit oder Möglichkeit gab erfolgreich zum Einsatz zu kommen, können nun neu aktiviert und inkorporiert werden, so dass der Organismus auch weiß, dass er es nun kann – sich zur Wehr setzen und nun anders reagieren kann. Die Angst wird überwunden duch den neuen Kraft- und Erkenntnisgewinn. Die Selbstermächtigung kehrt zurück (oder wird neu erfunden!). Man wandelt sich in seinen Reaktionen vom Ich-kann-nicht(-anders) zu einem Ich-kann.

Das containment sind die eigenen Grenzen und das eigene Fassungsvermögen. Kann man eine Erregung (beispielsweise Umwelteinflüsse oder andere Menschen) nicht aushalten, so verliert man schnell die Fassung. Sowohl im Schechten als auch im Guten kann man nicht zu viel vertragen. Ziel der Traumabehandlungen ist es, sich des containments gewahr zu werden und mehr spüren zu können, ohne daran zu kollabieren oder zu früh zu explodieren. Die Resilienzfähigkeit (Widerstandskraft) wird erhöht.

7.) Entladung: Alte Muster und aufgestautes Potential in From von Energie-Impulsen im Nervensystem können entladen werden. Der Körper kann dies durch leichtes Zittern, Schütteln, Stöhnen, Seufzen, durch Worte, Tränen oder andere Bewegungen vollziehen. Nach dem dies einmal geschehen ist, kann dann auch neuverhandet werden, das heißt, dass man nun die alten Empfindungen im Nervensystem „überschreibt“:

8.) Neuverhandlung und Integration: Unsere Nervenbahnen sind wie Hasenwege. Hasen hinterlassen eine ausgetretene Spur im Gras wenn sie immer und immer wieder den selben Weg laufen. So verhält es sich mit unseren Gewohnheitsmustern, abgespeichert in unserem Nervensystem. Der gewohnte Weg ist zwar viel offensichtlicher, erstmal logischer und quasi „sicherer“. Eigentlich aber ist er nur ein gewohnter Weg. Es ist nun an der Zeit neue Hasewege zu laufen. Auch wenn sich das mal komisch (weil ungewohnt) anfühlt. Es gehören ein gewisser Mut und eine Neugier und Entdeckungslust dazu, um neue Wege zu gehen und das unberührte Gras niederzudrücken – so werden neue neuronale Synapsenverbindungen hergestellt! Wenn jemand die Wege schon mal in seinem Leben gegangen ist und sie aufgrund der Verletzung (ein Monotrauma wie ein Unfall) nur „vergessen“ oder verlernt hat, so kann er sich womöglich eher wieder bald zurück erinnern. Wenn diese Wege jemand noch gar nicht kannte, so ist es wohl neu für ihn und er muss Neues dazulernen und seinen sicheren (eigentlich „eingeengten“) Hafen zu verlassen – raus aus der trauamtischen Zwangsjacke.

Ziel des Ganzen ist es sich selbst und seinen Körper besser und bewusster wahrzunehmen und um freier und stabiler und resilienter (widerstandsfähiger gegenüber Stress) zu werden um ein selbstbestimmteres, selbstermächtigtes Leben führen zu können. Entscheidende Fragen hierzu lauten: Wann komme ich in meinen stressvollen „ich muss“-Zustand und wann bin ich in meinem (hoffentlich nun ausgeweiteten) entspannt-wachen „ich kann“-Zustand?